24. November 2010

Krankenversicherung Die Gesundheitsreform bringt zahlreiche Neuerungen. Was ändert sich für die Versicherten?

Rund 8,6 Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit privat krankenversichert. Ihre Zahl dürfte in den kommenden Monaten noch stark ansteigen. Denn seit dem 1. Januar dieses Jahres können auch freiwillig gesetzlich Versicherte oder Personen ohne Versicherungsschutz, die früher privat versichert waren oder der PKV zuzuordnen sind, einer privaten Versicherung beitreten. Möglich macht dies der neue Basistarif, den alle Privatversicherer seit Anfang des Jahres anbieten müssen. Dieser Tarif ist in seinem Leistungsumfang mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vergleichbar. Die Beiträge dafür dürfen den Höchstbetrag der GKV, derzeit liegt dieser bei rund 500 Euro, nicht überschreiten. Gesundheitsprüfungen, wie beim Eintritt in die Privaten sonst üblich, entfallen ebenfalls. Für die Berechnung der monatlichen Beitragshöhe zählen jetzt ausschließlich das Eintrittsalter und das Geschlecht.


Die privaten Krankenversicherer sind mit der Einführung des Basistarifs gar nicht einverstanden: „Die Reform ist ein Eingriff in die Unternehmensfreiheit der privaten Krankenversicherer“, bemängelt zum Beispiel Dr. Volker Leienbach, Verbandsdirektor der privaten Krankenversicherung. „Dass der Gesetzgeber der PKV das Angebot eines GKVvergleichbaren Tarifs verpflichtend vorschreibt, stellt einen echten Bruch mit dem bisherigen PKV-System dar.“ Leienbach ist sicher, dass sich der Basistarif nicht selbst finanzieren kann. „Er wird von den bereits heute Versicherten subventioniert werden müssen, was zu Beitragserhöhungen führen wird. Dabei wird der Prämienanstieg umso größer ausfallen, je mehr Versicherte den Basistarif wählen.“ Weil sie die Neuregelungen so nicht hinnehmen wollen, haben 30 große Versicherungsunternehmen beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde eingereicht. Ihr Argument: „Diese Eingriffe führen in ihrer Summe zu unvertretbaren Belastungen für die Privatversicherten sowie für die Unternehmen der privaten Krankenversicherung. Damit überschreiten sie die Grenze des grundrechtlich Zulässigen.“ Die Entscheidung der Richter steht noch aus.

NEBEN DEM BASISTARIF hat die Gesundheitsreform Anfang 2009 eine weitere Neuerung gebracht. So können Privatversicherte künftig einen Teil ihrer Altersrückstellungen auf einen anderen Versicherer übertragen. Der Wechsel ist allerdings nur in einen Basistarif möglich. Die Voraussetzungen: Neuversicherte können uneingeschränkt zu einem anderen Versicherer in den Basistarif wechseln. Wer bereits privat krankenversichert ist, kann noch bis zum 30. Juni 2009 in den Basistarif eines anderen Versicherungsunternehmens wechseln. Nach dem 30. Juni können Versicherte, die schon vor dem 1. Januar 2009 in einer Privaten waren, nur noch dann wechseln, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben, eine gesetzliche Rente oder eine Beamtenpension beziehen oder finanziell bedürftig sind.

Wer seinen bisherigen Versicherer verlassen will, sollte nicht nur auf die Beitragssätze schauen. Genauso wichtig ist die Frage, ob der neue Versicherer problemlos die Gesundheitskosten übernimmt. Auch ein Blick auf die Altersrückstellungen kann nicht schaden: Wie hat die Gesellschaft mit diesen Geldern gewirtschaftet? Wechselwillige sollten zudem die Beitragssteigerungen der vergangenen Jahre mit anderen Anbietern vergleichen. Und ist der Tarif, in den man wechseln will, vielleicht nur so günstig, weil er neu am Markt ist? Dann sind Beitragserhöhungen schon jetzt programmiert. Klaus Michel, Vorstandsmitglied LVM Krankenversicherung, gibt zudem den Rat, sich die Überschussbeteiligungen anzuschauen: „Wir zum Beispiel haben schon in der Vergangenheit freiwillig Überschussbeteiligungen vorgenommen, die gesetzlich erst für 2025 vorgesehen sind“. „Der Gesundheitsfonds wird den Wettbewerb verschärfen und zu einer Verdrängung führen“, sagt Jürgen Hahn, Vorstandsvorsitzender der BKK Essanelle. Er prognostiziert: „Nur Kassen mit klarer Positionierung und effizienten Strukturen werden bestehen.“

Als Alternative zum Basistarif wird es weiterhin private Zusatzversicherungen geben.
Wer zum Beispiel Zahnbehandlungen oder die Chefarztbehandlung im Krankenhaus privat versichern will, kann eine Zusatzpolice abschließen. „Durch solch einen Tarif bekommt man den Status eines Privatpatienten“, erklärt Peter M. Endres, Vorstandsvorsitzender
der KarstadtQuelle Versicherungen. Und wie wird sich das Gesundheitswesen in Deutschland weiter entwickeln? Prof. Günter Neubauer, Direktor des Münchener Instituts für Gesundheitsökonomik, prophezeit: „Es wird sich eine Entwicklung zu einer einheitlichen Basisversorgung für alle herauskristallisieren. Das heißt, dass auch die Privatversicherung noch stärker in die Basisversorgung einbezogen wird. Parallel dazu werden Bürger, die mit der Basisversorgung nicht zufrieden sind, sich über private Zusatzversicherungen ein höheres Versorgungsniveau sichern müssen.“

Sabine Olschner, "visAvis Economy"